Tagebuchauszug des Gelehrten Doctorus Marencius, vorgelegt in der kaiserlichen Universität zu Akat Torok
[…] Anders als in vielen anderen Regionen Melgoriens ist der Hexenkult im eigentlich so rückständigen Rothengau weder verpönt noch wird er heimlich zelebriert. Wo anderswo das Wort „Hexe“ abergläubische Reaktionen hervorruft, grüßt man die entsprechende Person freundlich und erweist ihr Respekt. Überrascht von dieser Erkenntnis habe ich mich genauer mit dem hiesigen Kult auseinandergesetzt.
Vorab ist es notwendig zu wissen, dass zwar Arinus, der Herr des ehrenhaften Kampfes, der zentrale Gott der Rothengauer ist, dennoch werden auch die anderen melgorischen Götter in ihrer mannigfachen Zahl verehrt.
Bei den Anhängern des Hexenkults, in der Regel vor allem weibliche Personen, steht eine Trias von Göttinnen im Mittelpunkt. Diese wären Anuada, wohl die älteste Tochter Thyia, der Elementargöttin der Magie, dann die zweite Tochter, Enanna und schließlich die jüngste Tochter, Sotis.
In der kultischen Handlung werden diese drei Göttinnen durch die Mondphasen dargestellt. Anuada ist der volle Mond, oder wie man hier sagt die weiße Mondin. Enanna ist der halbe Mond, hier nennt man diese Mondphase die grüne Mondin und zuletzt Sotis mit dem Neumond, die schwarze Mondin. In der Tat steht Enanna wohl nicht nur zeitlich zwischen ihren Schwestern, sie hält die beiden wohl auf Abstand oder vermittelt zwischen ihnen, so erklärte man mir.
Soweit ich erfahren konnte, verschreibt sich ein Hexenzirkel wohl im bestimmten einer dieser drei Göttinnen im Besonderen, wobei alle Zirkel hochgeachtet werden. So ist es beispielsweise so, dass in einer der Freiherrschaften, regiert von einer Frau, dem Erlenfels, der Göttin Enanna besonders gehuldigt wird. Laut Legende hat die Göttin das Land im Besonderen gesegnet und sich sogar mit dem Haus derer von Erlenfels durch Ehe oder vergleichbarem verbunden. Die besagte Freiherrin gilt als Priesterin der Göttin Enanna und ist dort auch Teil des Hexenzirkels.
Interessant an dieser Stelle zu vermerken ist, dass die Priesterinnen nicht unbedingt auch dem Zirkel als oberste Hexe vorstehen müssen – auch wenn dies natürlich vorkommt. Oftmals fungieren sie als besondere Sprecherinnen des Zirkels nach außen, als Orakel, oder sie sind einfach Teil des Zirkels.
Je nach Ausrichtung des Zirkels ist eine bestimmte Form der Magie zentral: Anuada steht scheinbar insbesondere für die Heilkunst und derlei Dinge, Enanna für das Erkennen und Brechen von Magie und Sotis steht für die dunkleren Künste, wobei mir nicht klar ist, worum genau es hier gehen soll. Man sprach von verschiedenen Tränken, die geheimen und verborgenen Ziele der Menschen sind hier wohl der Knackpunkt.
Abschließend ist zu sagen, dass es in den vergangenen zehn Jahren im Rothengau nur eine Hexenverbrennung gab, tatsächlich eine Anhängerin der Sotis, die Schadmagie angewandt hat. Angeblich sei sie verrückt geworden, denn vorher habe auch sie den Menschen vielfach geholfen. Die Menschen der Gegend wirkten sehr betroffen durch diese Geschehnisse, waren letztendlich aber froh, dass nicht schlimmeres geschehen war.
Weiterhin ist es faszinierend, dass tatsächlich die Mondphasen Einfluss auf die Magie der Hexen hat. Eine Hexe aus einem Anuadazirkel beispielsweise wird sich schwer tun in der Phase des Neumondes Heilmagie zu wirken. Anhängerinnen der Enanna scheinen oftmals sogar zwischen den unterschiedlichen Extremen hin und her gerissen zu sein und müssen aufpassen sich in der jeweiligen Mondphase in einem der Göttin gefälligem Gleichgewicht zu bleiben.
So halten die jeweiligen Zirkel bestimmte Rituale nur zu den entsprechenden Phasen des Mondes ihrer Göttin. Leider habe ich es bislang noch nicht geschafft, an solchen Ritualen teilzunehmen. Meist erhielt ich bei derlei Anfragen entweder irritierte Blicke, ein für mich irritierendes Lächeln oder Kommentare, die möglicherweise den werten Leser irritierend könnten.
Hoffentlich werde ich auf meiner Reise durch dieses wilde Land noch die eine oder andere Gelegenheit haben, mehr über diesen Kult zu erfahren. […]